25 September 2005

Offener Brief zu 'Stasi-Vorwürfe gegen die Linkspartei'

Zum Pressebericht: Birthler: Stasi-Vorwürfe gegen die Linkspartei

Die DDR ist seit sechzehn Jahren weg, die höchste Verjährungszeit für eine Straftat ist bei uns fünfzehn Jahre. Die Aufhebung der Verjährung für "IM", was natürlich für sich allein noch nicht mal eine Straftat ist, ist für die etablierte politische Szene wirklich eine passende Sache: Wenn es mal nicht so läuft, wenn man keine Ideen mehr hat, wenn die Wahlen unklar ausgehen, wenn der politische Gegner besser punktet, dann greift man einfach in großen Aktenschrank, und sagt: "Hier, der da, der war IM! – An den Pranger mit ihm!" Dann hat das Volk wieder einmal eine dicke Schlagzeile, und man kann in Ruhe weitermauscheln.

Zur Begründung meinte sie, die Öffentlichkeit habe ein Recht darauf zu erfahren, wer ein IM war? Sagt sie auch, auf welcher rechtsstaatlichen Grundlage die Öffentlichkeit dieses Recht angeblich hat? Nein, das sagt sie nicht. Es gibt ja auch keine. Im Gegenteil. Das thüringische Verfassungsgericht hat ein Gesetz wieder einkassiert, mit dem "enttarnten IMs" das Abgeordnetenmandat entzogen werden sollte.

Ebenso, wie es kein Recht der Öffentlichkeit gibt auf Kenntnis des genauen Alkoholkonsums jedes Abgeordneten. Das wäre aber vielleicht sogar noch wichtiger.

Wie wurde man eigentlich IM? Sicher gab es welche, die sich freiwillig meldeten, kleine Blockwartpersönlichkeiten. Die hat es schon immer gegeben. Die meisten haben sich aber nicht bei der Stasi beworben, sondern wurden angesprochen, man versprach ihnen Vergünstigungen, einen Studienplatz, einen besseren Arbeitsplatz, oder man setzte sie unter Druck mit früheren staatsfeindlichen Äußerungen, mit Verfehlungen, mit was weiß ich. Wenn man nur tief genug gräbt, findet man bei jedem etwas, womit man ihn unter Druck setzen kann.

Die IMs standen auf der untersten Stufe der Stasihirachie. Alle anderen, die im Staats- und Parteiwesen der DDR irgendetwas "geworden waren", standen höher. Und aus den alleruntersten, den Fußabtretern, den Sklaven, aus denen macht man jetzt den ewigen Feind.

Das ist dann neben den "Neonazis" und "Kinderschändern" die dritte Hassgruppe in unserer Hassgesellschaft. Sie kommt gerade recht, um die "Altnazis" abzulösen.

Warum kommt wohl Marianne Birthler jetzt mit "IM-Verdächtigungen an? Weil sie erstens Politikerin ist, zweitens eine Bilderbuchkarriere hingelegt hat und drittens bei den Grünen ist?

Wer sich wirklich dafür interessiert, was es mit den Stasi-Vorwürfen auf sich hat, könnte vielleicht bei www.sozialisten.de (das ist die Linkspartei) mit der Suchfunktion mal nach "Stasi" suchen. Das ist interessante Lektüre. Die Betroffenen sind zwar nicht direkt stolz drauf, aber sie schämen sich auch nicht annähernd so, wie es die GRÜNE Selbstgerechtigkeit gern hätte. Hier ist etwas über das Vokabular unter den "offiziellen" Mitarbeitern der Stasi, auch interessant: http://www.freitag.de/2000/13/00131701.htm

Noch etwas: So wie es aussieht, wissen Einige noch gar nicht, dass sie von der Stasi überhaupt als "IM" geführt wurden. Ich stelle mir gerade vor: Ein Bekannter könnte während seiner Bundeswehrzeit durchaus von einem Spion angesprochen und sogar ausgehorcht worden sein, ohne zu merken, was da läuft. Das war ja mitten im kalten Krieg. Und man ist mit Hunderten von Leuten zusammengekommen, auf Lehrgängen, auf Übungen, manche hat man nur einmal gesehen und dann nie wieder. Es könnte also irgendwann auch eine Stasi-Akte über diesen Menschen, ohne sein Wissen auftauchen.

Jetzt denken viele, naja, aber genau das geht doch aus der Stasi-Akte hervor, oder? Ob jemand nur so angesprochen und ausgehorcht wurde, oder ob jemand sich freiwillig gemeldet hat und bereitwillig Auskunft über andere gegeben hat. Nein, eben nicht. Selbst Leute, die sich regelmäßig jeden Freitag in der Kneipe an der Ecke bei einem Stasi-Offizier über Nachbarn und ihre Westverwandten ausgekotzt haben (ohne zu wissen, dass der Gegenüber von der Stasi war), wurden als IM geführt. Dazu bedarf es keiner Unterschrift, weil derjenige ja quasi ohne Auftrag Informationen lieferte.
Ist denn der Verfassungsschutz mit der Stasi gleichzusetzen? Spitzel und Denunzianten sind - für mich - in jedem System Lumpen, egal, wem sie dienen.

Dass die DDR zumindestens im Verhältnis zur Bundesrepublik, ein Unrechtssystem war ist unstreitig. Dass die Ungerechtigkeiten andere sind und andere treffen, macht sie nicht nichtexistent. Dass der Rechtsstaat ausgesetzt wird, wenn die Staatsraison das empfiehlt (siehe Bush in Mainz), macht die beiden Systeme aber durchaus vergleichbar.

Vielleicht sollte man die Leute erst mal selbst ansprechen, und nicht erst mal alles an die Presse geben, die dann auch, von der passenden Partei gesponsert, den „richtigen Aufhänger“ publizieren!

Übrigens Nazi-Offiziere haben im Bundestag gesessen bis sie vor Altersschwäche tot umgefallen sind.

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